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Für alle Tage: Ein Lebensbuch


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Informationen zum Buch
  ISBN
  Autor
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  Extras

Rezension von

Ragan Tanger

Für alle Tage: Ein Lebensbuch Tagtäglicher Reichtum Der wichtigste Tipp zuerst: Das Vorwort von Volker Schlöndorff beiseite lassen, dafür den Epilog von Ulrich Schmid unbedingt goutieren, denn letzterer versteht den großen Erzähler Lew Tolstoi in seiner ganzen Tiefe und Breite und rundet dieses Kunstwerk, was der Leser hier in den Händen halten darf, optimal ab. Wer „Für alle Tage“ zum ersten Mal sieht mag an die vielleicht erste Bibel oder ein goldenes Buch denken. Ein Mammut von Leselektüre, Din-A-4 groß, Hardcovereinband im Schiebeordner und dick wie eine Hauswand – das Tolle daran: der Inhalt unterstützt das Äußere kongenial, es ist das persönliche Kompendium am Ende des Lebens eines der größten Literaten aller Zeiten. Alles ist drin, was raus musste; wer Rousseaus Bekenntnisse entdecken durfte, der weiß, welche Tiefe und welch intimen Details einen hier erwarten werden. Das Buch ist aufgebaut wie ein Tagebuch; beginnend am 1. Januar, der nun mal interessanterweise nicht der gleiche Tag in Russland wie in Deutschland zu Tolstois Zeiten war, wird jeder Tag mit einer Grundsentenz eingeleitet. Diese wird dann belegt von mal vielen, mal wenigen Zitaten berühmter anderer Literaten; selten lässt der große Tolstoi ein persönliches Bonmot hinzufließen. So bietet uns jeder Tag ein Who is Who der philosophischen, theologischen, künstlerischen und wissenschaftlichen Grandezza der europäischen Kulturgeschichte. Seneca und Marc Aurel, Augustinus und Meister Eckhart, Rene Descartes und Amiel, Goethe und Lichtenberg. Von überall her fliegen und schweben sie in das Hirn und Herz des Dichters und fließen als besonders wichtige Erkenntnisse durch ihn in diese Anthologie hinein. Eine einfache Ansammlung ist es beileibe nicht. Genau ausgewählt zu bestimmten Thematiken, dabei feinfühlig und zärtlich, bindet Tolstoi die Sinnsprüche, Aphorismen und Gedanken ein. Jede Woche und jeder Monat enthalten dann, auch in der gleichen Mischung aus fremden Feder und eigenen Anmerkungen, Prosatexte und längere Abhandlungen oder Überlegungen zu bestimmten Themen; und genau jene Themen sind es, die das Salz dieser literarischen Suppe darstellen. Typisch für einen Menschen, der am Ende seines Lebens, reich und berühmt, Zeit hat, sich existentiellen Fragen zu widmen. Vor allen Dingen theologische, explizit christliche, stehen hier im Vordergrund und die Polemik, die Schlöndorff im Vorwort Tolstoi ankreidet, ist höchstens die Säkularisierung des frühen 20. Jahrhunderts – historisch verortbar, aber tiefgründig religiös und – leider mag man hinzufügen – zu großen Teilen auf die patriarchalische Dimension des Christengottes ausgerichtet. Wer aber daraus Leo Tolstoi einen Strick drehen will, der ist hier falsch. Wie wenige andere durchleuchtet er mit inbrünstiger Selbstanalyse und schonungsloser Offenheit die dringlichsten Fragen, unterwirft sich keinesfalls blind den Ideologien und hat als stärksten Trumpf – trotz seines aristokratischen Ursprungs – die kommunistischen Prinzipien in der Hinterhand. Wer wie er schlüssig darlegt, dass nur der sein Essen genießen kann, der es selbst erwirtschaftet oder zumindest aber mit einer entsprechenden Gegenleistung erworben hat, der versteht, warum auch hundert Jahre später die Idee einer geldlosen Gesellschaft keine blindwütige Utopie ist, sondern optionaler Gebrauch sozialer Notwendigkeiten. Tolstois persönliche Anthologie ist ein großer Schatz. Man spürt solchen Büchern die Kraft an, wenn man sie von weitem in de Auslage liegen sieht. Man merkt, auf den bedruckten Seiten warten Silberperlen aus Wörtern und die Reife eines künstlerischen Daseins, das seinesgleichen sucht. Wer Weltliteratur schrieb und am Ende seins Lebens - herrliche Fotografien in den Vor- und Nachbemerkungen unterlegen dies eindrucksvoll - noch die persönliche Ernte auf dem Feld einfährt, der hat nicht nur intellektuell Interessantes zu berichten. Authentizität in Perfektion, Literatur und Kunstfreunde dürfen diese Buch auf keinen Fall verpassen.

Tagtäglicher Reichtum

weitere Rezensionen von Ragan Tanger


Der wichtigste Tipp zuerst: Das Vorwort von Volker Schlöndorff beiseite lassen, dafür den Epilog von Ulrich Schmid unbedingt goutieren, denn letzterer versteht den großen Erzähler Lew Tolstoi in seiner ganzen Tiefe und Breite und rundet dieses Kunstwerk, was der Leser hier in den Händen halten darf, optimal ab. Wer „Für alle Tage“ zum ersten Mal sieht mag an die vielleicht erste Bibel oder ein goldenes Buch denken. Ein Mammut von Leselektüre, Din-A-4 groß, Hardcovereinband im Schiebeordner und dick wie eine Hauswand – das Tolle daran: der Inhalt unterstützt das Äußere kongenial, es ist das persönliche Kompendium am Ende des Lebens eines der größten Literaten aller Zeiten. Alles ist drin, was raus musste; wer Rousseaus Bekenntnisse entdecken durfte, der weiß, welche Tiefe und welch intimen Details einen hier erwarten werden.

Das Buch ist aufgebaut wie ein Tagebuch; beginnend am 1. Januar, der nun mal interessanterweise nicht der gleiche Tag in Russland wie in Deutschland zu Tolstois Zeiten war, wird jeder Tag mit einer Grundsentenz eingeleitet. Diese wird dann belegt von mal vielen, mal wenigen Zitaten berühmter anderer Literaten; selten lässt der große Tolstoi ein persönliches Bonmot hinzufließen. So bietet uns jeder Tag ein Who is Who der philosophischen, theologischen, künstlerischen und wissenschaftlichen Grandezza der europäischen Kulturgeschichte. Seneca und Marc Aurel, Augustinus und Meister Eckhart, Rene Descartes und Amiel, Goethe und Lichtenberg. Von überall her fliegen und schweben sie in das Hirn und Herz des Dichters und fließen als besonders wichtige Erkenntnisse durch ihn in diese Anthologie hinein.

Eine einfache Ansammlung ist es beileibe nicht. Genau ausgewählt zu bestimmten Thematiken, dabei feinfühlig und zärtlich, bindet Tolstoi die Sinnsprüche, Aphorismen und Gedanken ein. Jede Woche und jeder Monat enthalten dann, auch in der gleichen Mischung aus fremden Feder und eigenen Anmerkungen, Prosatexte und längere Abhandlungen oder Überlegungen zu bestimmten Themen; und genau jene Themen sind es, die das Salz dieser literarischen Suppe darstellen. Typisch für einen Menschen, der am Ende seines Lebens, reich und berühmt, Zeit hat, sich existentiellen Fragen zu widmen. Vor allen Dingen theologische, explizit christliche, stehen hier im Vordergrund und die Polemik, die Schlöndorff im Vorwort Tolstoi ankreidet, ist höchstens die Säkularisierung des frühen 20. Jahrhunderts – historisch verortbar, aber tiefgründig religiös und – leider mag man hinzufügen – zu großen Teilen auf die patriarchalische Dimension des Christengottes ausgerichtet.

Wer aber daraus Leo Tolstoi einen Strick drehen will, der ist hier falsch. Wie wenige andere durchleuchtet er mit inbrünstiger Selbstanalyse und schonungsloser Offenheit die dringlichsten Fragen, unterwirft sich keinesfalls blind den Ideologien und hat als stärksten Trumpf – trotz seines aristokratischen Ursprungs – die kommunistischen Prinzipien in der Hinterhand. Wer wie er schlüssig darlegt, dass nur der sein Essen genießen kann, der es selbst erwirtschaftet oder zumindest aber mit einer entsprechenden Gegenleistung erworben hat, der versteht, warum auch hundert Jahre später die Idee einer geldlosen Gesellschaft keine blindwütige Utopie ist, sondern optionaler Gebrauch sozialer Notwendigkeiten.

Tolstois persönliche Anthologie ist ein großer Schatz. Man spürt solchen Büchern die Kraft an, wenn man sie von weitem in de Auslage liegen sieht. Man merkt, auf den bedruckten Seiten warten Silberperlen aus Wörtern und die Reife eines künstlerischen Daseins, das seinesgleichen sucht. Wer Weltliteratur schrieb und am Ende seins Lebens - herrliche Fotografien in den Vor- und Nachbemerkungen unterlegen dies eindrucksvoll - noch die persönliche Ernte auf dem Feld einfährt, der hat nicht nur intellektuell Interessantes zu berichten. Authentizität in Perfektion, Literatur und Kunstfreunde dürfen diese Buch auf keinen Fall verpassen.

geschrieben am 12.07.2010 | 567 Wörter | 3464 Zeichen

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