
| ISBN | 3506785753 | |
| Autor | Lars Lüdicke | |
| Verlag | Schöningh GmbH & Co KG | |
| Sprache | deutsch | |
| Seiten | 199 | |
| Erscheinungsjahr | 2016 | |
| Extras | - |

âIm Mittelpunktâ dieser Untersuchung, so erlĂ€utert der Berliner Historiker Lars LĂŒdicke in seiner Einleitung sein Vorhaben, âstehen [âŠ] weder die Entstehung [Hitlers] Weltanschauung noch die Untersuchung der Bedingungen, die den Vollzug dieser Weltanschauung ermöglichten; vielmehr konzentriert sich das Buch auf Hitlers Ideologie, die ĂŒber zwanzig Jahre hinweg, von der Mitte der 1920er Jahre bis zum FrĂŒhjahr 1945, sein Denken, Planen und Handeln bedingte. Der Beginn dieses Zeitraumes wird von der Niederschrift des Buches âMein Kampfâ markiert, dessen Ende vom so genannten âNero-Befehlâ, und beide âEreignisseâ geben â inhaltlich wie zeitlich â den Rahmen des Buches vorâ. LĂŒdicke will der âBinnenlogikâ von Hitlers Denken nachspĂŒren.

Als Quellen dieses Unterfanges bediene er sich vor allem den Selbstzeugnissen Hitlers, nĂ€mlich der Dokumente âMein Kampfâ und dem âZweiten Buchâ, weitere frĂŒhe Aufzeichnungen, Hitlers Reden und Proklamationen, die âTischgesprĂ€cheâ des Diktators, aber auch Tageaufzeichnungen wie die des Propagandisten Joseph Goebbels.
Diesen Pendelblick zwischen Theorie und Praxis wendet LĂŒdicke, nachdem er zunĂ€chst im Kapitel âInterpretationenâ die Forschungslage resĂŒmiert hat, bezĂŒglich der weiteren Analyse im Hinblick auf die âIdeologieâ, dann auf die âRealitĂ€tâ und schlieĂlich auf die âVisionenâ Hitlers an. Den Anfang der Hitler-Forschung legt LĂŒdicke in die 1950er-Jahre und fĂŒhrt dafĂŒr Bullocks Hitler-Biographie an, um im nĂ€chsten Satz zu konstatieren, dass dieser wiederum viel von Konrad Heidens Hitlerforschungen aus den 1930er-Jahren profitiert habe. Bullock habe Hitler als âprinzipienlosen Opportunistenâ gesehen bis 1960 Hugh R. Trevor-Roper den âprogrammatischenâ Diktatur in den Vordergrund rĂŒckte. Die Entdeckung der Programmatik Hitlers hĂ€tte das Interesse an der Strukturanalyse genĂ€hrt, die â so LĂŒdicke â auch schon den 1940er-Jahren von Ernst Fraenkel und Franz Neumann betrieben worden sei. Zum zweiten Mal auf nicht einmal zwei Seiten korrigiert LĂŒdicke seine These vom Beginn der NS-Ideologie-Forschung in den 1950er-Jahren. Dass Ernst Fraenkel und Franz Neumann keine âdeutschjĂŒdische Historikerâ waren, sondern Juristen, die mit Marcuse, Kirchheimer, Herz u. a. viele Analysen zum Nationalsozialismus schrieben, sei nur am Rande bemerkt. Im weiteren Verlauf des Kapitels âInterpretationenâ wird dann aber souverĂ€n der Forschungsdebattenverlauf ĂŒber die Rolle Hitlers nachgezeichnet, beginnend bei Broszats âStaat Hitlersâ ĂŒber die Debatte âStrukturalisten versus Intentionalistenâ bis hin zu den Kontroversen ĂŒber die Thesen Daniel Jonah Goldhagens und Götz Alys und die neuesten Hitlerbiographien von Ulrich, Longerich u. a. nachgezeichnet.
Im Kapitel âIdeologieâ streicht LĂŒdicke die konstitutive Bedeutung des gescheiterten âHitlerputschesâ vom November 1923 als identitĂ€tsstiftend heraus. Die Sakralisierung des Ereignisses als GrĂŒndungsmythos, die Heiligsprechung der Getöteten als âBlutzeugenâ und das eigene Hineinsteigern Hitlers durch Putsch und Gerichtsprozess in die âFĂŒhrerrolleâ analysiert LĂŒdicke treffend. Die Haftzeit deklarierte Hitler als âHochschule auf Staatskostenâ um und bereitete in seiner autobiographischen Programmschrift die Ideologeme vom âLebenskampfâ als âRassenkampfâ mit âArierglaubeâ, Lebensraumphantasien, Antiinternationalismus und Antiegalitarismus aus, die er im BĂŒndnis mit Italien und England verwirklichen wollte.
Die Transformation dieser Ideologie in die âRealitĂ€tâ geht LĂŒdicke im nĂ€chsten Kapitel nach, dass insbesondere die AufrĂŒstung und den âWeltanschauungskriegâ im Osten fokussiert. Ganz auf der Linie Götz Alys betont auch LĂŒdicke die PrototypizitĂ€t der Euthanasiemorde fĂŒr den Holocaust.
Im dritten Kapitel âVisionâ beschreibt LĂŒdicke wie Hitler sich als âGlĂ€ubigerâ des eignen Mythos aufgrund er auĂenpolitischen Erfolge 1936 immer mehr als âWerkzeug der Vorsehungâ sah. Hitler sah im Weltkrieg und in der Ermordung der europĂ€ischen Juden die heilsgeschichtliche Mission des Nationalsozialismus, welcher als âpolitische Religionâ die christlichen Kirchen ablösen sollte. In Hitlers Dystopie gehörten die Welthauptstadt âGermaniaâ, MenschenzĂŒchtungen im Lebensborn, ZĂŒge mit einer Spurbreite von vier Metern und Wehrsiedlungen im Osten zum neuen Paradies. Hitlers Weltanschauung und deren politische wie militĂ€rische Realisierung fĂŒhrten zur völligen Zerstörung Europas. Der Antihumanismus Hitlers und seine verheerenden Folgen werden von LĂŒdicke verstĂ€ndlich, pointiert und solide nachgezeichnet.
geschrieben am 09.07.2017 | 590 Wörter | 4123 Zeichen
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